Bild Kupferstich Neustadt Orla

017. Neustädter Autogeschichte

Zusammengestellt von Bernd-Uwe Heise mit Unterstützung von Herrn Heinz Herold

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Quelle: Geraer Zeitung

 

 

In diesem Heft von 1956 ist die folgende Autogeschichte enthalten.


 

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Neustädter Erfinder

Vor kurzer Zeit hatte ich Ihnen eine Reihe alt- Neustädter Erfinder dargestellt und ihre Taten gerühmt. Mancher der Leser wird bestimmt davon noch nichts gewusst haben. Heute, aus Anlass der Herausgabe eines Sonderheftes für unser Neustadt, will ich die Reihe der Neustädter Erfinder fortsetzen. Diesmal sind es Männer, die sich auf dem Gebiete des Kraftwagenbaues verdient gemacht haben. Auch hier wissen nur sehr wenige von ihnen etwas und trotzdem bleiben sie mit ihrer kühnen Tat Wegbereiter für die Entwicklung des Kraftverkehrs in Deutschland. Leider war ihnen auch nicht der große Erfolg beschieden, sie mussten denselben Weg gehen, welchen das Schicksal so vielen Erfindern in der Welt vorschrieb. 

 

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Privatfoto: Familie Kögler

 

Im Grundstück Nr. 8 der heutigen Ernst-Thälmann-Straße in Neustadt, welches damals dem Wagenbauer Fr. Ad. Schütter gehörte, wurden die ersten Motorwagen gebaut.

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Firmensitz: Breite Straße B 90, Carl-Alexander-Straße 8, jetzt Ernst - Thälmann-Straße 58

Foto: Heise

 

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Wagenfabrik: Bahnhofstraße D 109, Bismarckstraße 46, jetzt Ernst - Thälmann - Straße 46

Foto: Heise

 

Die Form dieser Motorwagen war der Typ der bisherigen eleganten Kutsche, nur mit dem Unterschied, dass die Deichsel und die vorgespannten Rosse fehlten. Die Rosse wurden durch den eingebauten Benzinmotor ersetzt, während die Lenkung durch ein Handrad vom Sitz des Fahrers aus getätigt wurde. Wir wollen dabei natürlich nicht vergessen, dass der Benzinmotor ein furchtbares Knattern erzeugte und mitunter dicke Rauchwolken ausstieß, wenn der Kraftwagen mit 20 Stundenkilometern durch die Stadt ins Freie „jagte." Da werden bestimmt die Neustädter die Augen weit aufgerissen haben, wenn sich das „wunderliche Ding" ihnen näherte! Auch mancher Fluch wird ausgestoßen worden sein und manche Verwünschung wurde dem „Wunderwagen" ausgesprochen. Verursachte er doch einen ohrenbetäubenden Lärm und durch den Ausstoß der Rauchwolken wurde die Luft verpestet. Das alles war zu damaliger Zeit doch etwas Neues. Die Jugend wohl erst recht wird dem „seltenen" Fahrzeug hinterhergelaufen sein und es bestaunt und bejubelt haben. Vielleicht, was nicht ganz ausgeschlossen ist, hat die Jugend oftmals mithelfen müssen, wenn es galt eine kleine Steigung, wie den sogenannten Torberg1, zu bewältigen und der Benzinmotor auszusetzen drohte. Manches Gelächter der Bevölkerung mögen die tüchtigen Männer hingenommen haben, ehe alles reibungslos verlief. Viele Versuche waren dazu nötig, um weitere Verbesserungen vorzunehmen, bis die technische Vervollkommnung erlangt war, die man zu erreichen hoffte. Als nun die Sache so einigermaßen geglückt war, wurde eine Firma gegründet und unterm 10 Mai 1894 im Handelsregister unter dem Namen „Thüringer Motorwagenfabrik, Neustadt/Orla L. Schneider & Co.", eingetragen. Die Inhaber dieser Firma waren der Wagenbauer Friedrich Adolf Schütter und der Stellmacher Louis August Schneider; Prokurist wurde der Ing. Franz Paul Teichmann, der mit seiner Familie am 1. August 1894 aus Werdau zuzog. In dem Betrieb arbeitete noch der Sägenschmied Lehmann, der hier in Neustadt als tüchtiger Bastler und „Tüftler" bekannt war. Wie bereits erwähnt, waren viele Versuche nötig, denn jeder einzelne Motor, jedes einzelne Fahrzeug waren von Grund auf neu konstruiert und in handwerklicher Arbeit aus Einzelteilen hergestellt. Den Motor hatte der alte Bastler und „Tüftler" Lehmann gefertigt; er wurde später durch Ing. Teichmann weiterentwickelt. Dass die vier tüchtigen Männer in der kurzen Zeit des Bestehens der Firma immerhin fünf Fahrzeuge erbaut haben, sei unter Berücksichtigung der damaligen fast maschinenlosen Zeit besonders anerkannt. Aber viel mehr fällt ins Gewicht, dass ihre Fahrzeuge, die auch 20 Stundenkilometer liefen, den damaligen französischen, die am 22. Juli 1894 auf der Strecke Rouen—Paris ihre erste Zuverlässigkeitsfahrt lieferten, voll und ganz gleichwertig waren. Dazu hatten die Thüringer Motorwagen bereits die Bosch-Magnetzündung, die sich sehr gut bewährte. In der Festschrift der Boschwerke wird dieser ersten Geschäftsverbindung mit der Thüringer Motorwagenfabrik in Neustadt/Orla lobend gedacht. Wir dürfen daher mit Stolz annehmen, dass die Neustädter Pioniere durchaus mit zu dem Weltruf der Firma Bosch beigetragen haben, waren ja ihre Fahrzeuge die ersten, welche die neue Erfindung Boschs praktisch ausprobierten und mit Erfolg abschlossen.

Aber es währte alles nur kurze Zeit- Im Jahre 1895 wurde die Firma wieder gelöscht. Aus welchen Gründen, ist aus den vorhandenen Unterlagen nicht ersichtlich. Eins steht fest, dass bei Auflösung der Firma noch viele Einzelteile vorhanden waren, die der weiteren Verarbeitung harrten. Am 29. September 1895 erlosch die Prokura des Ingenieurs Teichmann, und am 1. Oktober trat ein Kaufmann, namens Max Stern aus Berlin, als Geldgeber ein. Das auf solider, fleißiger und ehrlicher Handwerksarbeit aufgebaute Unternehmen fiel wohl kapitalistischer Geschäftemacherei in der damaligen Zeit zum Opfer. Trotzdem gebührt den tüchtigen Neustadter Pionieren ein Ehrenplatz in der Geschichte der Automobilindustrie!

Herbert Pfannenschmidt

 

1 Thorberg= ansteigendes Straßenstück zum Rodaer Tor zwischen Orla und dem ehemaligen Kino in der Rodaer Straße

2 Nach dem Handelsregister im Stadtarchiv am 04.Juli

3 Sie haben aber nicht daran teilgenommen.

4 Da die Polsterwerkstatt von Adolf Schütter zu klein für den Wagenbau war, ist wahrscheinlicher, dass der 1. Motorwagen in der Werkstatt von Luis August Schneider entstand. (derzeit Ernst-Thälmann-Straße 46)

 

Am 04.07.1894 wurde unter der Firma "Thüringer Wagenfabrik Neustadt (Orla) L.Schneider und Co" dieser Betrieb in das Handelsregister eingetragen. Der Anmeldeschein ist auf den 07.07.1894 datiert.

 

Dr. Alfred Becker aus Bremen (Enkel von Adolf Schütter) schrieb uns:

 

Um 1890 begann der Kutschwagenbauer Friedrich Adolf Schütter zusammen mit dem Stellmacher Louis August Schneider und dem Sägenschmied Lehmann mit der Umrüstung einer Kutsche zum Automobil. Als die notwendigen Versuche, wobei die Bosch-Magnetzündung zum Einsatz kam, abgeschlossen waren, wurde eine Firma gegründet und unter dem Namen "Thüringer Motorwagenfabrik" am 10. Mai 1894 im Handelsregister eingetragen. Als Prokurist fungierte der Ing. Franz Paul Teichmann. Firmensitz war Adolf Schütters Grundstück und Werkstatt, heute Ernst-Thälmann-Str. 8. Insgesamt wurden fünf Fahrzeuge gebaut, die "den damaligen französischen, die am 22. Juli 1894 auf der Strecke Rouon - Paris ihre erste Zuverlässigkeitsfahrt lieferten, voll und ganz gleichwertig waren" und wie jene auch 20 km/h erreichten. Im September 1895 erlosch die Prokura des Ingenieurs, der angeblich von der Weltausstellung in Chicago (World’s Columbian Exposition), wohin er mit den Bauplänen gereist sein soll, nicht zurückgekommen war. Am 1. Oktober trat Max Stern, ein Berliner Kaufmann, als Geldgeber ein, aber das Unternehmen war damit nicht mehr zu retten.

Inhaber der Firma waren :

 

Luis August Schneider, 46 Jahre alt - Werkstatt und Wohnhaus des seit 1895 ansässigen Stellmachers. (Ab 1909 Stellmachermeister)

Gründer der Firma " Thüringer Motorwagenfabrik (Neustadt Orla)"

Um 1895 Bahnhofatraße D109, um 1909 Bismarckstraße 46, derzeit Ernst-Thälmann-Straße 46

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Die Wagen wurden dann dem Polsterer übergeben

Friedrich Adolf Schütter, 36 Jahre alt - Werkstatt und Wohnhaus des Sattlermeisters

Mitbegründer der Firma

Breite Straße B 90, Carl-Alexander-Straße 8, Ernst-Thälmann-Straße 58

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Franz Paul Teichmann- Ingenieur und Prokurist, der mit seiner Familie am 1.4.1894 aus Werdau zuzog. Teichmann hat die Zündung von Benz (nur für stationäre Motoren) an den Fahrbetrieb angepasst.

Teichmann, Marie Therese geb. Oberländer, 24 Jahre alt

10.06.1895 angemeldet, abgemeldet am 19.11.1895

Der Ehemann hatte seine Genehmigung erteilt.

Wohnung: Triptiser Chaussee D 8o b , Triptiser Straße 8

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Quelle: Stadtarchiv Neustadt an der Orla, Akte 4331, Gewerberegister 1, 1892-1902, 184

 

 

Friedrich Wilhelm Lehmann, 45 Jahre alt - Werkstatt und Wohnung des Sägeschärfers

Er war ein Mitarbeiter der Firma "Thüringer Wagenfabrik Neustadt (Orla) L.Schneider und Co", der in der Stadt als tüchtiger Bastler und Tüftler bekannt war.

Jüdengasse B 116, Gerichtsgasse 7

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Foto: Heise

 

 

Kleinteile aus Holz lieferte die Tischlerei Pechmann, Markt 6.

 

 

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Gründung eines Automobilklubs

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Quelle: Neustädter Kreisbote, 30. August 1906

 

 

Neue Gewerbe

Der Automobilfortschritt war nicht aufzuhalten. So trauten sich Neustädter auch an solche Gewerbe.

 

Carl Stöckel jr. hat am 11.2.1919 ein Gewerbe „Reparaturwerkstätte für Kraftfahrzeuge u. Vertretung für Automobilfabrikate“ unter der Adresse Am Lindenplatz 3 angemeldet.

Quelle: Akte 4332, Gewerbe-Register II 1903-1928

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Foto:Heise

 

Weitere Gewerbeanmeldungen im Zusammenhang mit Automobilen

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Die ersten Autobesitzer in Neustadt waren:

 

Kennzeichen Besitzer und Berufsstand Wohnort Fahrzeugart und Hersteller Zulassungsjahr
S 500 Rößler, Otto, Fabrikant Neustadt an der Orla P 1909
S 504 Heuschkel, Karl, Baubesichtiger Neustadt an der Orla P 1909
S 505 Seiß, Adolf, Fahrradhändler Neustadt an der Orla K 1909
S 512 Jordan, Walter, Gerber Neustadt an der Orla K 1909
S 522 Ellinger, Bezirkstierarzt Neustadt an der Orla P 1909
S 541 Boettcher, Paul Neustadt an der Orla P 1920

Quelle: Oliver Balthun: Verzeichnis der Kraftfahrzeugbesitzer in den ehemaligen Thüringischen Fürsten- und Herzogtümern, Hameln 2015

 

Oldtimerclub

Im Schleizer Oldtimerclub bereiteten die Neustädter Rainer Rieth, Georg Reißig und Horst Roth mit vielen Clubkameraden die 5. "Prinz Heinrich - Oldtimerfahrt" vor, die am 23. Juni 2002 auch nach Neustadt an der Orla führte.

Quelle: Stadtwerke "Gute Bekannte" 2/2002

Hinweis:

Im Neustädter Buteile Park befinden sich 10 Oldtimer.


 

 

Ein Neustädter Bürger stellte uns ein Foto mit dem Hinweis zur Verfügung, dass in diesem, in der Neustädter Umgebung fotografierten Auto, sein Großvater (Drogist) Otto Max Aetzold sitzt. Bei dem Auto handelt es sich allerdings um einen Wartburgwagen 3,5PS, 479ccm, Motor System Benz, I. Serie-1898/99, mit Kutschierwagen-Aufbau, Lizenz Decauville.

 

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Wir fanden heraus, welche Gaststätte im Hintergrund zu sehen ist und Sie können diese bei Youtube ansehen.

Zur Fotoschau

 

    2:48 min